Anne Sieverling
Ernährung in der frühen Eisenzeit und Archaik in Stratos und der Stratiké
Möglichkeiten der Funktionsanalyse von Keramik
Selten stand Ernährung so sehr im Fokus der Medien und des allgemeinen Interesses wie in unserer heutigen Zeit. Die Erforschung antiker Esskulturen ist dabei ein besonders interessanter Aspekt, der im Dissertationsprojekt am Fallbeispiel des westgriechischen Stratos und seinem Umland der Stratiké untersucht wurde. Die antiken Gefäße, Knochen und Pollen, die bei den Ausgrabungen und Oberflächenprospektionen des Deutschen Archäologischen Instituts und des griechischen Antikendiensts zutage kamen, wurden im Hinblick auf ihre ernährungshistorische Aussage analysiert, um die Entwicklung der Esskultur von der Frühen Eisenzeit bis zum Ende der Archaik (ca. 1050–480 v. Chr.) zu rekonstruieren. Als Ausgangspunkt wurden die zur Verfügung stehenden Lebensmittel und deren Möglichkeiten der Transformation und Konsumption analysiert, um Kontinuität und Wandel der Ess- und Trinkkultur herauszuarbeiten.
Zunächst wurden einschlägige historische und ikonografische Zeugnisse untersucht, um auch sozialgeschichtliche Aspekte und den damaligen Diskurs von Ernährung einbinden zu können. Die Analyse dieser frühen Texte zeigte u. a., dass Status, Geschlecht, Alter, topografische Bedingungen und Klima einen großen Einfluss auf die Ernährungsweise der einzelnen Personen hatten. Die archaischen Terrakotten und Vasenbilder visualisieren hauptsächlich im kultischen Kontext sehr detailliert Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln sowie deren Verzehrweise.
Anhand der vorgelegten archäozoologischen (Benecke, Prust) und palynologischen Untersuchungen (Jahns, Bottema) konnten die essbaren pflanzlichen und tierischen Lebensmittel nachgewiesen werden und Informationen über Tierhaltung, Pflanzenanbau und das lokale ökologische und ökonomische System erschlossen werden. Es wurden neben einigen wildwachsenden Früchten und Kräutern Getreide, Weintrauben, Oliven und Walnüsse kultiviert und deren Anbau teilweise am Ende der Archaik intensiviert. Ziegen, Schafe, Hausschweine und Rinder wurden für die Versorgung mit tierischen Lebensmitteln wie Fleisch, Innereien und Milch gehalten, an deren Knochen teilweise Verbrennungs- und Schnittspuren als Hinweise für die Zubereitung der Fleischspeisen gedeutet wurden.
Die Tongefäße bieten in ihrer Eigenschaft als Behälter für Flüssigkeiten und Speisen wertvolle Informationen über das Konsumptionsverhalten der damaligen Bevölkerung. Die Variabilität von Formen, Oberflächenstruktur und Tonzusammensetzung erlaubt auch einen Einblick in die Entwicklung der trophischen Gewohnheiten, da neue Gefäßformen, Herstellungstechniken und Materialien auch neue Essgewohnheiten widerspiegeln können. Deshalb wurden bestimmte morphologische Eigenschaften analysiert, durch die das physikalische Verhalten der Lebensmittel in den Gefäßformen, die Erreichbarkeit des Inhalts, die Transportfähigkeit und Kapazität erschlossen werden konnten. Außerdem ermöglichte die Untersuchung der Oberflächenbehandlung und Tonware die Stabilität und Temperaturwechselbeständigkeit der Gefäße zu bestimmen. Durch die synthetische Analyse dieser komplexen Eigenschaften konnte eine funktionale Zuordnung der Objekte zu Trink-, Ess-, Gieß-, Mischgefäßen, sowie Koch-, Lagerungs-, Transport- und Zubereitungsgefäßen vorgenommen und deren Verteilung und Beziehungen dargestellt werden. Anhand der Veränderung und Ausdifferenzierung der mit dem Trinken und Essen assoziierten Gefäße in der archaischen Zeit kann von einer Entwicklung und Verfeinerung der Trink- und Esskultur nach dem Ende der Frühen Eisenzeit ausgegangen werden.
Die Synthese der Gefäßfunktionsanalyse, der palynologischen und archäozoologischen Untersuchungen sowie der Text- und Bildquellen ergab, dass die Menschen aus dem pflanzlichen und tierischen Nahrungsangebot viele verschiedene Lebensmittel und Speisen in den entsprechenden Gefäßen transportierten, lagerten, zubereiteten und kochten und z. B. Getreidebrei, Suppen, Fleischspieße, eingelegte und frische Früchte, Käse, Brot aus Schalen und Tellern verzehrten und Wein mit Wasser aus den vielen unterschiedlichen Trinkgefäßen konsumierten. Auf diese Weise konnten ein umfassendes Bild von Ernährung, deren Entwicklung und wertvolle Erkenntnisse in Bezug auf das Konsumptionsverhalten der Bevölkerung von Stratos und der Stratiké in der 1. H. des 1. Jts. v. Chr. entwickelt werden.